«Die Welt ist klein, wir sind gar nicht so unterschiedlich.»

Nino Züllig wanderte in jungen Jahren von Georgien nach Deutschland aus. Seit 2014 lebt sie in Basel und arbeitet als Dolmetscherin. Die Erzählcafé-Moderatorin führte mit HEKS beider Basel interkulturelle Erzählcafés durch. Menschen aus der Ukraine und Georgien haben über ihre Heimat und das Leben in der Schweiz gesprochen.

 

Erinnerst du dich an dein erstes Erzählcafé?

Nino Züllig: Ja klar! HEKS beider Basel wollte im Rahmen des Projekts AltuM – Alter und Migration älteren, zugewanderten Menschen Erzählcafés anbieten. Da ich schon länger für HEKS dolmetsche, wussten sie, dass ich Russisch spreche. Im Frühling 2022 war mein erstes Erzählcafé. Es kamen Geflüchtete aus der Ukraine und ein georgisches Ehepaar aus meinem Bekanntenkreis.

Warum habt ihr das Erzählcafé auf Russisch angeboten?

Viele Menschen in der Ukraine sind zweisprachig und sprechen neben der ukrainischen Muttersprache auch Russisch. In Georgien können sich meist die älteren Leute noch auf Russisch verständigen. Russisch bot sich als unsere gemeinsame Sprache an.

Wie fühlt sich ein Erzählcafé auf Russisch für eine Ukrainerin an?

Ich war mir bewusst, dass ich sehr vorsichtig sein muss, wenn ich ein interkulturelles Erzählcafé auf Russisch anbiete. Man kann die Politik nicht ignorieren. Normalerweise ist ein Erzählcafé etwas Entspanntes und Angenehmes. Bei meinem Setting schwingt der Krieg immer mit. Als Moderatorin muss ich viel Fingerspitzengefühl haben, damit das Gespräch im ruhigen, friedlichen Rahmen bleibt und die Leute sich wohlfühlen. Und zwar diejenigen, die gerne Russisch sprechen, als auch diejenigen, die die Sprache nicht mögen. Ich glaube, ich erfahre viel Akzeptanz, weil ich aus Georgien stamme und beide Seiten verstehe.

Was ist dein Tipp?

Oft kommt es vor, dass eine Ukrainerin während des Erzählcafés eine Nachricht von ihrem Mann im Krieg bekommt und abgelenkt ist. Ich verstehe, dass sie dann darüber reden will. Als Moderatorin muss ich darauf eingehen und es annehmen, aber dann doch zurück zum eigentlichen Thema finden. Das Erzählcafé soll ein Ort der Entspannung sein, wo man über etwas anderes reden kann. Mein Tipp an Moderierende: Das Thema langsam und vorsichtig wechseln.

Deine Lieblingsthemen?

Mein erstes Thema war «Ich in der Schweiz». Die Gruppe hat darüber sinniert, wie sie sich hier fühlen, wie es früher war und mit welchen Schwierigkeiten sie kämpfen. Ich habe dann ein anders Thema identifiziert: «Gut und günstig leben in der Schweiz». Da kam ein sehr ideenreicher Erfahrungsaustausch zustande. Als ich in den normalen Rhythmus kam, wählte ich auch fröhliche Themen wie «Schön und modisch».

An dein Erzählcafé kommen vor allem Menschen 55+. Was beschäftigt sie?

Die deutsche Sprache ist das Hauptthema. Ältere Menschen lernen nicht mehr so leicht. Je älter man wird, desto schwieriger ist Migration. Man kommt an einen Ort, wo man die Sprache nicht spricht, die Kultur nicht kennt, ins Ungewisse geht. Ich mache diese Erzählcafés von Herzen, weil ich die Sorgen der Menschen gut nachvollziehen kann.

Was hat dich am meisten überrascht?

Es gibt immer wieder Aha-Erlebnisse. Egal, wo die Menschen aufgewachsen sind, einige Dinge sind überall gleich. Wir haben einmal ein Erzählcafé mit Menschen aus der Schweiz, der Ukraine und Georgien durchgeführt. Dabei haben wir gemerkt, dass sie alle als Kind ähnliche Sachen gespielt haben und sogar ähnliche Lieblingsessen hatten. Mein Fazit: Die Welt ist klein, wir sind gar nicht so unterschiedlich.

Bild: Nino Züllig hat am Erzählcafé das Guetzlibacken zum Thema gemacht.

Zur Person

Nino Züllig studierte in Georgien Deutsch und zog schon jung nach Deutschland. 2014 folgte sie ihrem Mann nach Basel. Sie arbeitet als interkulturelle Dolmetscherin und veranstaltet regelmässig Erzählcafés. In ihrer Freizeit ist sie am liebsten mit ihrer Familie in der wilden Natur unterwegs.

Interkulturelle Erzählcafés

Seit 2022 bietet die HEKS Geschäftsstelle beider Basel im Rahmen des Projekts AltuM – Alter und Migration Erzählcafés an. Sechs interkulturelle Vermittelnde bildeten sich bei Johanna Kohn weiter und bieten seitdem Erzählcafés in verschiedenen Sprachen an. Im 2023 werden die Erzählcafés fortgeführt. Sie sind thematisch verknüpft mit anderen Angeboten von AltuM beider Basel.

 

Interview: Anina Torrado Lara