Ein inklusives Erzählcafé mit Sehbehinderten

Am 26. November haben sich in der Bibliothèque sonore romande in Lausanne rund ein Dutzend Menschen für ein erstes Erzählcafé getroffen. Und nicht nur irgendein Erzählcafé, ein inklusives noch dazu, sind doch Personen mit einer Sehbeeinträchtigung, Freiwillige der Bibliothek und Personen, die Hörbücher aufnehmen, zusammengekommen. Thema des Tages: «Unsere Geschichten rund ums Lesen». Angesichts des Erfolgs dieser ersten Ausgabe kann es gut sein, dass das Projekt weitergeführt wird. Die Co-Moderatorinnen Pascale Ernst und Florence D. Perret haben unsere Fragen beantwortet.

Interview: Anne-Marie Nicole

Wodurch wurden Sie inspiriert und motiviert, das Erzählcafé zu veranstalten? 

Das Erzählcafé wurde in der Bibliothèque sonore romande (BSR) veranstaltet, die hauptsächlich von blinden Menschen besucht wird. Die Leiterin der Bibliothek organisiert einmal im Monat literarische Apéros, an denen die Freiwilligen (die Hörbücher aufnehmen) und diejenigen, die Hörbücher ausleihen, zusammenkommen. Florence, die privat an einer dieser Veranstaltungen teilgenommen hat, schlug der Leiterin dann das Konzept Erzählcafé vor. Unser Ziel war es, die Teilnehmenden zu ermuntern, ihre Geschichten rund ums Lesen zu erzählen.

 

Welche Geschichten wollten Sie sichtbar machen?

In einem ersten Gespräch mit der Leiterin der BSR besprachen wir die Fragen, die wir im Rahmen des Erzählcafés stellen wollten. Sie bat uns, diese so zu gestalten, dass sich die Leserinnen und Leser sowie die Hörerinnen und Hörer über ihre jeweiligen besonderen Erfahrungen austauschen können. Wir hatten eher klassische Fragen vorbereitet, über den Einfluss von Büchern in ihrem Leben. Wir hielten uns also an die Struktur der «gewöhnlichen» Erzählcafés und haben diese gleichzeitig um die persönlichen Erfahrungen beim Vorlesen und beim Hören eines Buchs ergänzt.

 

Wie haben Sie das Erzählcafé barrierefrei gestaltet? 

Da sehbehinderte Menschen am Erzählcafé teilnahmen, haben wir der Stimme einen besonderen Stellenwert eingeräumt. Wir begannen deshalb mit einer Vorstellungsrunde, in der alle nacheinander ihren Vornamen nannten und erzählten, was sie gerade lesen oder vor kurzem gelesen haben. So konnte der Kreis gebildet und den sehbehinderten Teilnehmenden räumliche Orientierung ermöglicht werden.

 

Mit welchen Herausforderungen waren Sie konfrontiert und wie haben Sie diese gemeistert? 

Da wir zu zweit moderierten, konnten wir uns bei den verschiedenen Phasen des Erzählcafés abwechseln, was wirklich angenehm war. Ausserdem haben wir abwechselnd ausführlich erklärt, welche Regeln gelten. Wir hatten einen reichen und vielseitigen Gesprächsfaden vorbereitet. Uns war es wichtiger, dass ein qualitativer Austausch zustande kommt, als möglichst viele Fragen zu stellen. Wir haben die Moderation deshalb an die Teilnehmenden angepasst und auf manche Fragen verzichtet.

 

Erinnern Sie sich an einen besonders schönen Moment?

Wir hatten eine Frage zum sinnlichen Aspekt von Büchern vorbereitet. Aber einige Personen hatten das Thema bereits angesprochen, bevor wir die Frage überhaupt gestellt hatten. Diese Übereinstimmung der Wellenlängen zu erleben war wunderbar! Fast alle Teilnehmenden zeigten zu irgendeinem Zeitpunkt ihre Verletzlichkeit, das waren ganz besondere Momente. Die Freiwilligen, die Sehbehinderten und ihre Begleitpersonen, sie alle haben sehr bewegende Bucherlebnisse aus ihrem Leben geteilt.