Empathie in Online-Erzählcafés: Johanna Kohn stellt Ergebnisse der Begleitstudie vor

Johanna Kohn, Professorin an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit, hat mit einem Forschungsteam die Empathie in Online-Erzählcafés untersucht. Sie wollte wissen, ob auch das Online-Setting einen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten kann. Die theoretisch gestützte Annahme, dass Empathie ein Schlüsselfaktor für die Vielfalt ist und durch Erzählungen hergestellt werden kann, wurde in dieser Begleitstudie weitgehend bestätigt.

Die Ergebnisse der Begleitstudie zeigen, dass Empathie in den Erzählcafés sowohl verbal als auch nonverbal eine grosse Rolle spielt. Die an der Studie beteiligten Teilnehmenden berichteten von einem tiefen Verständnis, Respekt und dem Bedürfnis, mehr über andere Menschen zu erfahren. Auf individueller Ebene fühlten sich die meisten Teilnehmenden verstanden, gesehen, respektiert – und sie hatten das Bedürfnis, mehr von den anderen zu hören. Das Zuhören stellte sich als eine Grund-Dimension des Empathie-Erlebens heraus. Auf Gruppenebene entwickelte sich im Laufe der Erzählcafés ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit.

Es können neue Kontakte entstehen

Die Studie hebt auch die Bedeutung der Moderation, der Rahmenbedingungen und eines sicheren Raums für das Online-Setting hervor. Eine klare Struktur, die respektvolle Gesprächsführung und das Einhalten von Regeln schaffen einen «geschützten Raum», in dem Menschen gerne von sich etwas preisgeben. Die Moderation spielt eine entscheidende Rolle, denn sie schafft eine Atmosphäre von Respekt und Wohlwollen und verknüpft die Geschichten der Teilnehmenden.

Manchmal suchten die Teilnehmenden untereinander auch im Nachhinein Kontakt. Dass man etwas füreinander und miteinander tun will, ist eine weitere Dimension von empathischem Verhalten. Das Forschungsteam konnte nicht untersuchen, wie lange die nachweisbare Empathie über die Erzählcafés hinaus wirkt.

Das Studienteam schlägt vor, dass kleinere Folgeprojekte und Begegnungen nach den Erzählcafés ein Indikator für die Nachhaltigkeit sein könnten. Ein Vergleich mit analogen Erzählcafés und die Untersuchung der Unterschiede zwischen Online- und Offline-Formaten wären interessante Ansätze für zukünftige Forschungsprojekte.

Wichtige Erkenntnisse für Online-Erzählcafés

Dem Forschungsteam, das Erfahrung mit analogen und digitalen Erzählcafés hat, fiel auf:

  • Im Online-Erzählcafé wurde der Café-Teil nicht zum unkomplizierten Austausch und Weitererzählen genutzt; vielmehr nahmen sich die Teilnehmenden eine Pause vom Bildschirm, um sich zu bewegen, auf die Toilette zu gehen oder sich mit Essen und Trinken zu versorgen. Dagegen nimmt der Café-Teil in analogen Erzählcafés einen persönlich und methodisch wichtigen Stellenwert ein. Andererseits wurde die Möglichkeit zum themengerichteten Austausch in den moderierten Reflexionsrunden gleich im Anschluss an die Pause rege genutzt.
  • Zum Teil waren die Erzählungen im Online-Café persönlicher, intimer und hatten eine grössere Erlebnistiefe, als das in analogen Erzählcafés beobachtet wurde. Es wäre interessant, die Annahme zu prüfen, dass die Teilnahme aus dem eigenen sicheren persönlichen Raum heraus und die Möglichkeit, sich aus der online-Situation jederzeit zurückziehen zu können, gleichzeitig auch mehr Sicherheit und Vertrauen schafft.

Die gesamte Begleitstudie können Sie hier lesen.

Wie definiert die Studie «Empathie»?

Empathie bezeichnet die Fähigkeit, die Gedanken und Gefühle anderer zu erkennen und darauf zu reagieren, insbesondere in Bezug auf deren Leiden. Es gibt zwei Hauptformen von Empathie: affektive Empathie, bei der eine emotionale Reaktion in uns ausgelöst wird, und kognitive Empathie, die die Perspektive und den emotionalen Zustand anderer erfasst, ohne diese Gefühle mit den eigenen zu vermischen. Die Kombination beider Formen führt zu Mitgefühl, das als Reaktion auf das Leiden anderer verstanden wird. Empathie ist eine Schnittstelle zwischen Rationalität und Emotionalität, die es ermöglicht, nicht nur intellektuell, sondern auch emotional die Perspektive anderer zu verstehen.

Über die Studie

Die Begleitstudie wurde von der Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit, und vom Migros-Kulturprozent finanziert.  Johanna Kohn führte die Untersuchung mit Noemi Balsiger, Daniele Bigoni und Simone Girard-Gröber im Zeitraum Juni 2021 bis November 2022 in der Schweiz durch. Die Studie beschäftigt sich mit der Frage, ob und wie sich in Online-Erzählcafés Empathie zeigt und wie diese gefördert werden kann. An der Studie haben neun Personen mitgemacht. Sie wurden an drei Erzählcafés beobachtet.